Road Kill
Mit der ursprünglichsten Art der Fortbewegung, zu Fuß, wird der Ausstellungsraum betreten, wobei die Aufmerksamkeit auf eine wandfüllende Videoprojektion gelenkt wird. Aus der Perspektive einer Person auf dem Beifahrersitz gefilmt, verwandeln sich die Betrachter:innen in Mitfahrende einer nächtlichen Fahrt durch vorbeiziehende Landschaften, wobei der Asphalt den Weg durch die Dunkelheit weist. Die Szene hat etwas Beruhigendes: Das Auto wird zu einem brummenden Schlummermittel, das die Tür zur Welt der Träume öffnet. So angenehm das wiegende Gefühl des Fahrens für die Insassen ist, so drastisch sind die Auswirkungen auf Lebewesen, deren Lebensräume von Straßen zerschnitten werden und die häufig dem „Roadkill“ zum Opfer fallen.
Im Weitergehen durch den Raum werden die Besucher:innen Teil einer kleinen Herde — der Jaywalkers¹. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Objekten aus Schafswolle mit geschmiedeten Stahlbeinen. Ähnlich dem Schäfchenzählen scheinen sie von der einen Seite des Raumes zur anderen zu huschen. Diese Figuren in Sitzpolsterform sind in Anlehnung an eine weitere Passage der Videoarbeit entstanden, die eine Szene aus der Trickfilm-Sendung Pingu zeigt: Der kleine Knetpinguin träumt davon, wie seinem Bett lange Beine wachsen, es sich verselbstständigt und schließlich in einen Alptraum mündet.
Verzerrt wie vom Plastilin im Trickfilm, erscheint auch die Spiegelung in der Arbeit Closer Than They Appear, die an der gegenüberliegenden Wand zur Projektion montiert ist: Eine Installation aus mehreren Rückspiegeln, Viskose und Verbandsmaterial aus Erste-Hilfe-Kästen. Die Videoprojektion, die Objekte im Raum sowie die Körper der Besucher:innen werden in der Arbeit reflektiert und verändert; der Blick nach hinten zersplittert das Bild und erzeugt eine fragmentierte Sicht auf Umgebung und Körper. Stets gestützt vom Verbandsmaterial, brechen die Rückspiegel die Perspektive in Einzelteile. Alleine die Pflicht zum Mitführen des Verbandkastens impliziert die Möglichkeit der Katastrophe.
¹ Jaywalking beschreibt das freie Überqueren einer Fahrbahn, ohne den Umweg zu einem geregelten Fußgängerübergang zu nehmen. Bis vor Kurzem war Jaywalking in New York illegal; das Recht auf freie Bewegung des Individuums wurde somit wiederhergestellt.
Text: Luka Berchtold
© Fotos: Christa Engstler
Martina Morger ist 1989 in Vaduz geboren, hat Mediale Kunst in Zürich, Wien und Glasgow studiert und lebt und arbeitet in Hannover und Liechtenstein. Ihre künstlerische Praxis verwebt in situativen Installationen und ortsbezogenen Performances Fragestellungen von Macht, Begehren und Fürsorge. Als Co-Kuratorin von Perrrformat, bringt sie Performancekunst in den öffentlichen Raum und ist Mitglied mehrerer Kollektive und Gewerkschaften, mit denen sie sich für Rechte und Anliegen von Künstler:innen einsetzt. 2020 war Martina Atelierstipendiatin an der Cité Internationale des Arts in Paris und ist Manor-Kunstpreisträgerin 2021.
Eröffnung:
Donnerstag, 14.11.2024, 20 Uhr
Ausstellungsdauer:
15.11.-29.12.2024
Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Samstag,
Sonn- und Feiertag
von 15-18 Uhr
Kuratierende Künstlerin: Luka Berchtold
Mit freundlicher Unterstützung der Kulturstiftung Liechtenstein