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Mathematisch, klar und emotionslos sind die nackten Buchstaben und Zahlen des Ausstellungstitels und scheinen konträr zu Manfred Egenders Arbeiten zu stehen. Von Brüchen gezeichnet, erzählen seine Bilder auf sensible Weise abstrakte Geschichten. Die offensichtliche Verbindung zwischen Titel und Werk wird erst durch die Bedeutung der chemischen Formel deutlich, die sich auf vier Buchstaben herunterbrechen lässt – Gips.
Von jeher wurde Gips von Bildhauer:innen zur Erstellung von Modellen für Bronze- oder Steinskulpturen, als Abgussform oder Skizze verwendet. Der zunächst pulverförmige, dann flüssige und schließlich rasch aushärtende Baustoff, wird bei seiner finalen Formfindung ganz warm, um dann allmählich abzukühlen. Er ist kostengünstig und relativ leicht zu verarbeiten, seine Farbgebung ist hell, fast weiß. In dieser Ausstellung behauptet sich Gips als eigenständiges und vorherrschendes Material und überwindet endgültig seinen Status als reines Hilfsmittel. Um uns Raum für Interpretationen zu lassen, über die Stofflichkeit nachzudenken, geometrische Formen zu entdecken und uns in Aussparungen zu verlieren, lässt Manfred Egender beim Großteil der ausgestellten Arbeiten den Titel offen. Er selbst bezeichnet sich konsequent als Zeichner und Maler, was angesichts der fast klassischen Bildhauerarbeiten zunächst verwundert. Es geht ihm nicht in erster Linie um den Werkstoff, sondern um die Brüche und Strukturen, die sich wie Zeichnungen durch das Material ziehen.
Die Jahrzehnte lange Praxis und das umfassende Werk des Künstlers kommt in seinem Atelier zum Ausdruck. Überwältigt und überfordert zugleich, versucht man sich in der chaotischen Fülle an Plastiken und Bildern zurechtzufinden. Die dort verbrachte Zeit und das intensive Gespräch mit dem Künstler ordnen schließlich die Dinge, während die eigene künstlerische Tätigkeit beim Verstehen hilft. Es kristallisieren sich Phasen und Serien heraus. Ungeachtet der vielen unterschiedlichen Formate, Materialien und Techniken weisen alle Arbeiten Gemeinsamkeiten auf und scheinen trotz vorhandener Widersprüche in die gleiche Richtung zu streben. Eine von Neugierde angetriebene Experimentierlust wird deutlich, die ihm formal wie inhaltlich immer wieder neue Möglichkeiten eröffnet. Der Impuls und das Ausgangsmedium sind stets die Gleichen. Auf dem leeren Blatt Papier, das für Manfred Egender eine Art Labor und „der Anfang von Allem“ ist, entstehen Skizzen, die nach dem Erreichen einer gewissen Spnnung zu Transformationsprozessen in andere Medien führen. Durch die feinfühlige Auswahl der Gipsarbeiten finden wir uns in einem Raum wieder, in dem das leere Blatt Papier nicht nur in der Erinnerung mitschwingt, sondern viel mehr das Skizzenhafte, das Erweiterbare spürbar bleibt und Platz für Neues zulässt.
Text: Luka Jana Berchtold
© Fotos: Erhard Sprenger, Cover: Günter König
Manfred Egender (*1954 in Au) studierte von 1974 bis 1979 freie Grafik in der Meisterklasse bei Oswlald Oberhuber an der Hochschule für angewandte Kunst und Lehramt am Pädagogikum der Universität Wien. 1980 erhielt er das DAAD-Stipendium an der Hochschule der Künste und freien Universität Berlin und 1985 das Staatsstipendium Österreichs. Seit knapp 50 Jahren finden seine Ausstellungen statt, u.a. in Breslau, Köln, Livorno, Los Angeles, New Orleans, New York, Wien und Zürich. Er wohnt und arbeitet in Bregenz.
Eröffnung:
Donnerstag, 12.01.2023, 20 Uhr
Ausstellungsdauer:
13.01.-26.02.2023
Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Samstag,
Sonn- und Feiertag
von 15-18 Uhr
Kuratierende Künstlerin: Luka Jana Berchtold